Laut Bild ist es ein Umfrage-Schock für die Union, laut STERN ein „Umfrage-Dämpfer“ für die CDU und laut FOCUS stürzt die CDU weiter ab und die AfD liegt erstmals gleichauf mit der CDU in der Wählergunst. Sollen CDU/CSU und SPD bei ihren Koalitionsverhandlungen darauf reagieren? Sind Wahlumfragen zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt sinnvoll?

Schauen wir doch mal in das Portal wahlrecht.de, was finden wir dort?

Zwei fast gleichzeitig durchgeführte Umfragen finden sich. Infratest dimap hat 1.334 Menschen, vom 31.03. bis 02.04., und INSA hat 1.206 Menschen, vom 31.03. bis 04.04., per Telefon und online befragt. Bei ersterem liegt die CDU mit 26 % zwei Prozentpunkte vor der AfD und bei INSA liegen beide gleichauf mit 24 %.

Die Schlagzeilen und die Diskussionen in den sozialen Medien beziehen sich auf die INSA-Umfrage.

Grafik Wochentrend Umfrage Bundestagswahl
Screenshot: Wochentrend von INSA-CONSULERE

Schaute man allerdings am 6. April auf die Webseite von INSA-CONSULERE, dann findet man einen Wochentrend, der anders aussieht. Da liegt die CDU drei Prozent vor der AfD. Im Befragungszeitraum 28. bis 31. März hatten 2.006 Befragte online abgestimmt.

Muss man eine Umfrage, sechs Wochen nach der Bundestagswahl, ernst nehmen? Zum Ersten ist die Frage: Woher kommen die Unterschiede in den zwei INSA-Umfragen im fast deckungsgleichen Zeitraum?

Man kann annehmen, dass es an der Teilnehmerauswahl liegt. Bei der Umfrage in der CDU/CSU und AfD gleich liegen wurden auch telefonische Befragungen durchgeführt, liegt es an diesen Teilnehmern? Über eine Antwort kann spekuliert werden.

Die zweite Frage ist: Wie aussagefähig ist die Befragung von 0,0024 Prozent der Menschen, die bei der Bundestagswahl gültige Stimmen abgegeben haben? Besonders wenn man bedenkt, dass unter den Befragten eventuell auch Nichtwähler sind.

Die wichtigste Frage für mich ist aber: Was sagt der Trend, wenn es einer ist, zu diesem Zeitpunkt aus?

CDU und CSU führen mit der SPD Koalitionsverhandlungen und haben im Vorfeld, bei der Abstimmung zum Sondervermögen, den Grünen Zugeständnisse gemacht. Von einigen Wahlkampfpositionen, mit denen sie den untauglichen Versuch gemacht hatten, der AfD Stimmen abzujagen, sind sie inzwischen abgerückt. Das sorgt wahrscheinlich bei einigen potenziellen Wählerinnen und Wählern für Unmut. Vielleicht sagen diese dann auch bei einer Befragung: Dann wähle ich AfD. Ob sie das wirklich machen, das weiß niemand.

Die Umfrage und deren mediale Darstellung dient aber dazu, Druck auf die zukünftigen Koalitionäre aufzubauen. Wider besseres Wissen folgen Politikerinnen und Politiker oft Umfragewerten, besonders wenn diese prominent ausgeschlachtet werden. Sie zeigen dann Aktionismus, um den vermeintlichen Unmut des Volkes zu besänftigen. Im konkreten Fall ist zu befürchten, dass CDU/CSU sich weiter nach rechts bewegen und die SPD schneller einknickt.

Fazit: Eine „Wahlumfrage“ sechs Wochen nach der Wahl, vor der Bekanntgabe des Ergebnisses der Koalitionsgespräche und während der Amtsführung durch die alte, jetzt geschäftsführende, Regierung kann man natürlich durchführen. Sie ist m. E. einfach sinnlos und dient der Befeuerung der allgemeinen Erregung.

Es gab in früheren Zeiten, nach denen sich viele konservativ eingestellte Menschen zurücksehnen, diese 100-Tage-Schonfrist, nach Franklin D. Roosevelt, bis zur ersten Bilanz einer neuen Regierung. Bis dahin hielten sich Opposition und Medien weitgehend zurück. Kritik darf selbstverständlich geübt werden, wie gerade an den bekannt gewordenen Inhalten der Koalitionsverhandlungen.

Vielleicht sollte man erst nach diesen 100 Tagen Regierungszeit die erste „Wahlumfrage“ durchführen. Dann könnte man davon ausgehen, dass die Befragten auch etwas zu sagen haben. Das wiederum würde das Geschäftsmodell der Umfrageinstitute stören und Bild hätte keine Schlagzeile.

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