Am 23. Juli 2022 wehte erstmals die Regenbogenflagge auf dem Reichstagsgebäude in Berlin und wurde auch während den Feiern zum Christopher-Street-Day (CSD) und am 17. Mai, zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT), gehisst. Julia Klöckner, die neue Bundestagspräsidentin, will das nun ändern. Sie will, dass die Regenbogenflagge zwar noch zum IDAHOBIT vom Bundestag weht, zum CSD soll sie aber nicht mehr aufgezogen werden.
Gleichzeitig zieht die Bundestagsverwaltung die Teilnahme des Regenbogennetzwerkes derselben am CSD zurück, begründet wird das wie folgt:
„Der Direktor beim Deutschen Bundestag hat die Entscheidung getroffen, dass die Bundestagsverwaltung als solche, insbesondere aufgrund der gebotenen Neutralitätspflicht, nicht an politischen Demonstrationen und öffentlichen Versammlungen teilnimmt.“
Der Konservatismus zeigt sein Gesicht.
Sagte die ehemalige Bundestagspräsidentin, Bärbel Bas (SPD) 2022 noch: „Die Regenbogenflagge auf unserem Parlament – das bedeutet mir viel!“, so meint Julia Klöckner, der CSD lebe ‚von seiner kraftvollen Präsenz auf den Straßen‘ und benötige keine zusätzliche Beflaggung am Bundestag.
Nimmt man aber beides, die Beflaggung und die Nichtteilnahme des Regenbogennetzwerkes, zusammen, dann distanziert sich der Deutsche Bundestag, als eigenständiges Verfassungsorgan, vom CSD. Von der SPD, immerhin dem Koalitionspartner in der Bundesregierung, hört man dröhnendes Schweigen.
Was ist diese Neutralitätspflicht?
Immerhin wird diese als Grund für die Nichtteilnahme der Bundestagsverwaltung genannt.
Die Neutralitätspflicht, auch Neutralitätsgebot genannt, leitet sich aus dem Grundgesetz Artikel 20 Absatz 3 ab, welcher lautet: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“
Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages beschreibt das, in „Politische Stellungnahmen von Behörden und Neutralitätsgebot“, wie folgt: „Ob und gegebenenfalls inwieweit die Behörde im Rahmen schlichten Verwaltungshandelns ein allgemeines Neutralitätsgebot zu wahren hat, ist allerdings weder ausdrücklich im Grundgesetz geregelt noch innerhalb der Rechtsprechung geklärt.“
Das Resümee der Abhandlung ist: „Diese Rechtsprechung zu verschiedenen Varianten von Neutralitätsgeboten macht deutlich, dass sich staatliche Organe im Grundsatz unparteilich und neutral in Bezug auf politische Themen und gegenüber politischen Parteien verhalten sollten.“
Der CSD ist aber eine unparteiliche Veranstaltung, es sei denn, man betrachtet das Eintreten für die Menschenrechte als parteilich und ist neutral gegenüber Parteien, die Menschenrechte zur Disposition stellen. Es wäre fatal, wenn staatliche Organe dann neutral blieben.
Müssen Staatsdiener neutral sein?
Das Neutralitätsgebot wird oft und gern bemüht, besonders wenn es um Schulen, Universitäten oder hier die Teilnahme an Demonstrationen oder Veranstaltungen geht. Aber wie neutral sollen Lehrerinnen und Lehrer, Universitätsprofessorinnen und Professoren oder Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter sein?
Prof. Dr. Armin Willingmann, Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt in Sachsen-Anhalt, brachte es bei der Frühjahrssitzung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, in Bezug auf Wissenschaftsfreiheit, auf den Punkt:
„Und deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, die im Lehramt tätig sind und die auch gelegentlich solche Diskussionen in ihren Vorlesungen haben, mir komme niemand mit dem Neutralitätsgebot, wenn es um die Frage der Verteidigung unserer Verfassung geht.“
Fazit: Sieht man auf die vielen Drohungen und Angriffe gegen queere Menschen und gegen CSD-Veranstaltungen, dann endet das Neutralitätsgebot, weil gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßen wird: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Die staatliche Gewalt darf dann nicht neutral sein.
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Es gibt 3 Kommentare
Herr Merz hatte einen seinen tiefsten Tiefpunkte seiner Karriere, als er den Spruch mit den Schwulen und der Adoption im gesetzlichen Rahmen brachte. Er bekam dafür damals völlig zurecht auf die Mütze, und es gab dann noch weiterreichende mediale und kabarettistische Verarbeitung bis hin zu “Adoption minderjähriger Kinder durch Katholiken: Klar, solange alles im legalen Rahmen bleibt!”. Völlig zurecht, aber um Herrn Merz ging es gerade eigentlich nicht.
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> 1. Könnte wohl doch so sein (man fühlt sich willkommen), oder?
Bezweifle ich ganz stark. Ich könnte fast wetten, dass sich am Willkommensgefühl zwischen Konsum und rainbow-REWE, oder zwischen Hornbach und Flaggen-Toom nichts ändert im Vergleich. Von mir persönlich mal ganz abgesehen.
> 2. Wenn es aber wirklich so wäre, hätte auch keiner ein besseres Leben, wenn sie nicht dort hängt, oder doch?
Höchstens die Leute, denen das omnipräsente multimediale Diversity-ist-toll-Programm auf die Nerven geht. Ansonsten wie gesagt: Der eine Politiker findet die Fahne wichtig und gut, der andere nicht, mir egal. Es soll bloß bitte kein Zwang werden, der sich zum Beispiel durch Proteste äußert, sobald ein demokratisches Gremium wie ein Stadtrat beschließt, die Fahne nicht mehr aufzuhängen.
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> DAFÜR wird demonstriert, also für das (eigentlich) normalste in der Welt: Leben und leben lassen.
Sie scheinen sich bißchen auszukennen beim CSD. Ist Ihnen der dunkle Wagen vor vier, fünf Jahren am Ende des Umzuges aufgefallen, auf dem Sprüche wie “ACAB” und “Kein Mensch muss Bulle werden” drauf waren? Flankiert von dunkel gekleideten Frauen mit Sonnenbrille?
Wie finden Sie persönlich eigentlich die Losung “Hetero? Da gibts doch was von Ratiopharm!”?
Die Regenbogenflagge ist eine Symbol von Offenheit, von Inklusion, von Teilhabe. Jeder darf so sein, wie er will, auch die stramm konservative Frau Glöckner (Nestlé-Glöckner, nur zur Erinnerung). DAFÜR wird demonstriert, also für das (eigentlich) normalste in der Welt: Leben und leben lassen.
Überstrapaziert sind die ganzen konservativen und / oder rechten und / oder faschistischen “Bedenken” und Wehklagen. Wenn Herr Merz (immerhin Bundekanzler) sagt, dass er (ich sage das sinngemäß) Schwule machen können, wie sie wollen, solange sie sich innerhalb der Gesetzte bewegen (wie gesagt: sinngemäß). Ich mein: What!?
Und das “Argument”, keiner hätte ein bessere Leben davon, dass die Flagge dort hängt:
1. Könnte wohl doch so sein (man fühlt sich willkommen), oder?
2. Wenn es aber wirklich so wäre, hätte auch keiner ein besseres Leben, wenn sie nicht dort hängt, oder doch?
Natürlich ist das viele “Flaggenzeigen” in Unternehmen oft nur Marketing und ohne Bedeutung, das stimmt.
> Der CSD ist aber eine unparteiliche Veranstaltung
Der CSD ist wichtig und es ist gut, dass er auch in etwas abwegigen Gegenden durchgeführt werden kann. Aber er ist, trotz des vielen Schaulaufens, Feierns und “Drüber” seins soweit ich weiß eine angemeldete, politische Demo. Es wird unter anderem für politische und gesellschaftliche Änderungen demonstriert, insofern wird Politik gemacht. Da geht es um Meinungen.
Und die Flagge, ganz ehrlich, ist omnipräsent und überstrapaziert. Kein Mensch in Parchim hat ein besseres Leben, wenn das Teil da hängt. Und mir bringt sie rein gar nichts, wenn ich sie beim Öffnen der Bank-App sehe, beim Rewe und Toom damit konfrontiert werde, und auch mein Unternehmen plötzlich sein Interesse für den “pride-month” kundtut. Das alles ist unehrlich, symbolisch, nicht gut mit belastbare Tatsachen hinterlegt.
Und wenn Frau Bas sich freute über die Flagge, dann war es eben ihre persönliche Auslegung und Meinung. Frau Klöckner hat nun eine andere zur Symbolik, und es geht davon keinem Mensch schlechter. Sie hat auch völlig Recht damit, dass die tatsächliche Präsenz auf den Straßen deutlich kraftvoller in der Wirkung ist.